Etappe 12: Von Sebnitz nach Bärnau

Bergfest in Böhmen, ein Navigationssystem aus Porzellan und wie ein Mopped zur Zeitmaschine wird...

Bergfest - die Hälfte der Reisezeit war ja nun rum. Zeit für eine kleine Zwischenbilanz:

 

Wir beide hatten es bis dahin ganz gut überstanden. Noch einmal zur Erinnerung: Es war der Jahrhundertsommer schlechthin mit bislang ausnahmslos Temperaturen jenseits von 35 Grad im Schatten, aber Schatten gab's nur ganz selten. Das Fahren war dennoch OK, nur nach dem Anhalten wurde es binnen kürzester Zeit zur Qual. Die BMW hat die ersten 3.000 Kilometer auch gut überstanden. Lediglich die Auspuffhalterung wurde einmal in Mitleidenschaft gezogen. Leider waren wir unterwegs bislang nicht sehr erfolgreich für die Krebshilfe, wenn man es mal nur unter monetären Gesichtspunkten sieht. Bis zu diesem Zeitpunkt beliefen sich die Einnahmen auf gerade mal rund 350 Euro - ehrlich gesagt, eine Null mehr hatten wir bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich geplant bzw. erhofft.

 

Diese Zwischenbilanz notierten wir bei einer Rast kurz vor Oberwiesenthal im Erzgebirge, vor der Einreise in die Tschechische Republik bei Boži Dar. Einheimische Biker aus Oberwiesenthal hatten uns diesen kleinen Ausflug bzw. Umweg - rund 20 Kilometer - empfohlen und auch wir können jedem, der mal dort in der Gegend ist, die folgende Strecke sehr ans Herz legen, denn die Landschaft ist beeindruckend:

 

Man fährt von Oberwiesenthal die B95 in Richtung Tschechische Republik (Karlsbad). Einfahrt in die Tschechische Republik am Grenzübergang bei Boži Dar (auf deutsch: Gottesgab). Der Beschilderung nach Ryzovna folgen und sich nicht wundern, dass die Straße immer schmaler und die Gegend immer menschenleerer wird. Nach einiger Zeit sieht man zur Linken einen ziemlich reißenden Bach, dem folgt man (was anderes geht auch nicht mehr) bis nach Ryzovna, einer kleinen Ansammlung von Häuschen und einem kleinen Restaurant. Ab da hält man sich rechts in Richtung Potučky - verfahren kann man sich kaum, denn es gibt nur diese eine Kreuzung...

 

Fühlte man sich vorher wie der einzige Mensch auf dem Planeten, wird man in der Grenzstadt Potučky von angeblichen "Duty Free"-Shops und einem Gewimmel von Menschen schier erdrückt. Überwiegend Vietnamesen versuchen da alles Mögliche und Unmögliche zu verkaufen und zu vermarkten - selbst als wir ein Foto machten, kamen zwei Gestalten an und wollten fünf Euro dafür; versuchen kann man es ja mal...

Immer an der tschechischen Grenze lang ging es dann am Kloster in Waldsassen vorbei bis zu unserem heutigen Etappenziel Bärnau. Wälder, Felder und langgeschwungene Kurven machten die Fahrt dorthin an sich schon interessant, aber was uns in Bärnau erwartete, war eine Grenzerfahrung in mehrfachem Sinne...

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Uns wurde der Grenzlandturm für die Übernachtung zur Verfügung gestellt. Ein kleiner Turm, ausserhalb von Bärnau und mitten im Wald gelegen, keine fünf Meter von der Grenzlinie entfernt. Die nette Dame, die uns alles erklärte, zeigte uns dann auch noch die Stellen, wo bis kurz vor dem Fall des "Eisernen Vorhangs" noch scharf geschossen wurde. Nachdem sie zuguterletzt noch einen großen Kanister Wasser aus dem Kofferraum wuchtete, ließ sie uns allein, um das Abendbrot zu holen.

 

Bis dahin war alles noch OK und wir begannen, unser neues Heim zu erkunden. Je mehr wir sahen, desto stiller wurden wir, denn wir fühlten uns mehr und mehr als Opfer einer Zeitmaschine - zusammen mit einer K 1200 GT ins Mittelalter versetzt: Kein Strom, kein fließendes Wasser, ein Plumpsklo ausserhalb des Turms im Häuschen mit Herz, Nachttöpfe unter'm Bett und die Krönung: Zwei altertümliche Nachthemden für Helene - und mich... Nachthemden....!!!! FÜR BEIDE !!!

 

Wir waren erstmal zutiefst beeindruckt, nein, wir waren sprachlos und dachten an einen Gag. Gegen halb Acht hörten wir ein Auto den Waldweg entlangkommen und dachten beide: Jetzt erlösen sie uns und zeigen uns unser Hotel. Leider Fehlanzeige, der Grenzlandturm war unser Hotel.

 

Die Dame von vorhin kam zurück und brachte uns die Brotzeit. Wir ließen uns nix anmerken und sie wies uns noch freundlich drauf hin, dass wir hier alles benutzen könnten und am nächsten Morgen einfach nur die Türe verschließen und die Schlüssel in Bärnau abgeben sollten - und ich fragte mich im Stillen, ob das auch für die Nachttöpfe galt. Dann fuhr die nette Turmverwalterin weg und überließ uns unserem mittelalterlichen Schicksal.

 

Es wurde inzwischen dunkler am Himmel und in der Ferne kündigte dumpfes Grollen ein Gewitter an. Überall im Gehölz knackte und raschelte es. Wir malten uns aus, ob nicht ein durchgeknallter tschechischer Bauer oder ehemaliger Grenzer vielleicht doch nochmal scharf schießen möchte. Als es dann zu regnen anfing und der Boden weich wurde, begann die BMW, wie in Zeitlupe in die Wiese einzusacken. Mit Müh' und Not bekam ich sie im letzten Moment gehalten und schob sie fluchend zurück durch den Matsch auf den befestigten Weg vor dem Turm.

 

Liebe Bärnauer, wir hoffen, dass Ihr uns verzeihen könnt:

 

Je länger wir beide da so auf unserer "Terrasse" mitten im Nix saßen, umringt und gepiesackt von Mücken und Stechfliegen, desto mehr wuchs die Erkenntnis, dass wir keine Hardcore-Romantiker sind und dass ein "nachts im Wald aufs Plumpsklo zu gehen" für uns eine Nummer zu grenzwertig war.

 

In gewissem Maße haben wir die Stunden da genossen und haben uns durch die Situation und Umgebung sehr beeindrucken lassen, aber gegen neun Uhr war Schluß mit lustig. Back to the future war nun dringend angesagt - jetzt wurde die BMW unsere Zeitmaschine.

 

Wir geben es jetzt zu: Wir sind bis nach Windischeschenbach gefahren, um ein Hotel zu finden und am nächsten Morgen haben wir brav in Bärnau die Schlüssel des einmaligen Grenzlandturms zurückgegeben, ohne von der Nacht im Hotel zu erzählen - allerdings haben wir dafür ja auch die Nachttöpfe nicht benutzt...

 

Auch wenn wir nicht im Grenzlandturm übernachtet haben, so wird uns dieses Etappenziel für immer als wahre Grenzerfahrung in Erinnerung bleiben. Und für die, die uns jetzt nicht verstehen können, sei empfohlen: Den Grenzlandturm kann man für eine oder mehr Übernachtungen mieten...

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